Erstellt am: 06.11.2020
Corona hinterlässt Spuren - Auch in diesem Beratungsjahr gab es bei den Arbeitsagenturen rein rechnerisch wieder mehr gemeldete Ausbildungsstellen als gemeldete Bewerber*innen. In der Wirtschaftsregion Heilbronn-Franken kamen auf 100 gemeldete Ausbildungsstellen 61 Bewerber*innen – im Vorjahr waren dies noch 68 Bewerber*innen. Neben den bereits in den letzten Jahren bekannten regionalen, berufsfachlichen und qualifikatorischen Ungleichgewichten hat die Corona-Pandemie den Ausbildungsmarkt deutlich beeinträchtigt und die Ausgleichsprozesse stark verlangsamt.
Auswirkungen von Corona
„Es freut mich, dass die Unternehmen trotz aller Unsicherheiten - soweit es ihnen möglich ist - an der Ausbildung festhalten. Auch für den Ausbildungsbeginn 2021 wurden uns bereits zahlreiche Stellen gemeldet“ so Elisabeth Giesen, die Leiterin der Agentur für Arbeit Schwäbisch Hall-Tauberbischofsheim. Und weiter: „Mit Blick auf die Fachkräftesicherung für morgen führt kein Weg an dualer Berufsausbildung vorbei.“ Von Oktober 2019 bis September 2020 wurden bei den Arbeitsagenturen in der Region Heilbronn-Franken insgesamt 8363 Berufsausbildungsstellen gemeldet, im Vorjahr waren es 61 mehr.
Im gleichen Zeitraum haben 5118 Bewerber*innen die Ausbildungsvermittlung der Arbeitsagenturen in Anspruch genommen. Das waren 591 weniger als im Vorjahr. „Für den weiteren Rückgang der Bewerberzahlen gibt es unterschiedliche Erklärungen. So nimmt schon länger die Zahl der Schüler*innen aufgrund der demographischen Entwicklung ab. Auch haben wir Sondereffekte aufgrund der Corona-Pandemie. So konnten anfangs unsere Berufsberater*innen mit ihrem Beratungsangebot an den Schulen nicht präsent sein. Außerdem war es vielen Betrieben nicht möglich, den Jugendlichen ein Berufspraktikum anzubieten. Auch konnten Eltern aufgrund der vielfältigen Belastungen durch die Pandemie ihre Kinder bei der Berufswahl nicht im sonst üblichen Umfang unterstützen. Diese Ursachen haben zu Lasten einer Berufsausbildung den anhaltenden Trend verstärkt, weiterführende Schule zu besuchen.“ erklärt Jürgen Czupalla, Leiter der Agentur für Arbeit Heilbronn.
Ende September 2020 blieben aufgrund der Corona-Krise deutlich mehr Bewerber*innen unversorgt sowie Ausbildungsstellen unbesetzt als im letztjährigen September. So waren insgesamt noch 732 unbesetzte Ausbildungsstellen zu vermitteln. Gegenüber dem Vorjahr waren das 131 mehr. Zeitgleich waren 78 Bewerber*innen noch unversorgt, 50 mehr als im Vorjahr. Für eine Ausbildung ist es noch nicht zu spät. Die Nachvermittlung läuft noch das ganze Jahr. „Damit mehr Bewerber*innen und Unternehmen zusammenfinden, sollten junge Menschen nicht nur an einem Zielberuf festhalten, sondern Alternativen für sich ausloten. Unsere Berufsberater*innen unterstützen die jungen Menschen dabei,“ erklärt Elisabeth Giesen. Auch Unternehmen können zu einem besseren Ausgleich beitragen, indem sie nicht ganz so guten Kandidaten eine Chance geben. Mit ausbildungsbegleitenden Hilfen und assistierter Ausbildung können die Arbeitsagenturen den erfolgreichen Ausbildungsabschluss bei Bedarf unterstützen.
Ralf Schnörr, Hauptgeschäftsführer HWK Heilbronn-Franken: Nachdem das Ausbildungsjahr 2020 nach dem Lock down zunächst sehr langsam anlief, ist die Entwicklung inzwischen überraschend gut. Während das Handwerk der Region Heilbronn-Franken im April noch ein Minus von 20,3 Prozent bei den neu eingetragenen Lehrverträgen zu verzeichnen hatte, war es im Monat September nur noch ein Minus von 3,5 Prozent. Das ist eine tolle Leistung der Handwerksunternehmen unter widrigen Bedingungen, da es in diesem Schuljahr keine Berufsorientierung gab und sämtliche Veranstaltungen und Messen ausfielen. Bewerber*innen und Betriebe hatten es also besonders schwer, zueinander zu finden. Die Corona-Krise hat auch gezeigt, dass das Handwerk unverzichtbar und damit ein stabiler Wirtschaftsbereich ist, der eine hohe Arbeitsplatzsicherheit bietet. Wir hoffen, dass diese Erkenntnis zunehmend bei den Eltern ankommt, die großen Einfluss auf die Berufswahl ihrer Kinder haben.
Auch die Schülerzahlen an den einjährigen Berufsfachschulen sahen zuletzt erfreulich gut aus. Im September gab es im Vergleich zum Vorjahr kaum Rückgänge. Im Gegenteil: Es gab sogar überwiegend Zuwächse. Das lässt uns bisher noch optimistisch in das nächste Ausbildungsjahr blicken, sofern der zweite Lock down nicht erneut für einen Abschwung sorgt. Die Ausbildungsprämie, insbesondere die Fördervariante zum Erhalt des bisherigen Ausbildungsplatzniveaus, wurde von den Handwerksunternehmen gut angenommen und hat dazu beigetragen, dass die zunächst abwartende Haltung der Betriebe zu Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr dann ab Juli umschlug in eine eher vorausschauende Haltung im Hinblick auf den nach wie vor großen Fachkräftebedarf im Handwerk.
Als Alternative zu Präsenzveranstaltungen im Bereich Lehrstellenvermittlung, Bildungsmessen und Berufsorientierungsmaßnahmen an Schulen hat sich die Handwerkskammer an verschiedenen virtuellen Vermittlungsaktionen beteiligt. Außerdem wird zukünftig das Beratungsangebot unserer „Passgenauen Besetzung“ um eine digitale Beratungsvariante für Schüler*innen, Eltern und Betriebe erweitert. Bewährt auch sich während der Coronazeit auch unser virtuelles Berufsorientierungsangebot „MeisterPOWER“, das von den Schulen verstärkt eingesetzt wurde.
Elke Döring, Hauptgeschäftsführerin IHK Heilbronn-Franken: Die Zahl der bis Ende Oktober 2020 bei der IHK Heilbronn-Franken eingegangenen Ausbildungsverträge beläuft sich auf 4041, was einem Rückgang von 11,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum entspricht. Auch wenn wir hier leider einen Rückgang zu verzeichnen haben, bedeutet dies nicht, dass sich die Unternehmen der großen Bedeutung der Ausbildung im eigenen Betrieb für die langfristige Fachkräftesicherung nicht bewusst sind – ganz im Gegenteil, der Fachkräftemangel stellt für die Betriebe nach wie vor ein großes Geschäftsrisiko dar -, sondern ist vor allem eine Folge der Corona-bedingten Einschränkungen. So waren beispielsweise Praktika und Bewerbungsgespräche zeitweise kaum möglich und die Berufsorientierung an Schulen und auf Bildungsmessen konnte häufig nur sehr eingeschränkt durchgeführt werden bzw. war gar nicht möglich. Hinzu kommt der nach wie vor anhaltende Trend zu höheren Schulabschlüssen.Seit dem Sommer verzeichnen wir jedoch gewisse Nachholeffekte bei den Unternehmen, die die Anbahnung von Ausbildungsverhältnissen Corona-bedingt nur um zwei bis drei Monate nach hinten verschoben haben. Für Ausbildungssuchende bedeutet dies, es gibt nach wie vor unbesetzte Ausbildungsplätze und somit gute Chancen für eine Lehrstelle.Die IHK Heilbronn-Franken steht ihren Mitgliedsunternehmen mit umfangreiche Beratungs- und Unterstützungsmaßnahmen zur Seite, wenn es um die Sicherung des Ausbildungsnachwuchses geht. Dazu gehören beispielsweise auch die Gewährleistung der Durchführung der Aus- und Weiterbildungsprüfungen unter strengen Hygieneauflagen sowie die Unterstützung bei der Umsetzung von Unterstützungsmaßnahmen.
Silke Ortwein, DGB-Gewerkschaftssekretärin Main-Tauber.Kreis, Stadt- und Landkreis Heilbronn: Das Matching ist in diesem Jahr Corona-bedingt deutlich erschwert: Praktika und Schulbesuche durch die Agentur konnten kaum bzw. nur unter erschwerten Bedingungen stattfinden. Die Verunsicherung bei den Ausbildungsbetrieben, was die eigene Zukunft anlangt, hat unter anderem dazu geführt, dass die Betriebe erst spät die Ausbildungsverträge geschlossen haben. Im Moment sind leider zum einen Jugendliche unversorgt geblieben, aber auch gleichzeitig Ausbildungsstellen bislang nicht besetzt, sodass sich auch jetzt noch Bemühungen um einen Ausbildungsplatz im laufenden Jahr lohnen können.
Silvia Wagner, DGB Gewerkschaftssekretärin Landkreis Schwäbisch Hall und Hohenlohekreis: Eine gute Ausbildung ist und bleibt das Fundament für einen erfolgreichen Start ins Berufsleben. Wer Fachkräfte braucht muss ausbilden. Es bedarf jetzt einer großen gemeinsamen Anstrengung, damit die Schulabgänger*innen auch unter den erschwerten Bedingungen einen guten Start ins Berufsleben haben. Sie regt neben den verstärkten Nachvermittlungsbemühungen der Agenturen auch mit Blick auf den kommenden Jahrgang (der sich ja eigentlich gerade jetzt in der „heißen Phase“ der Ausbildungsplatzsuche befinden müsste) an, Plattformen zur Kontaktaufnahme zu schaffen.
Die beiden DGB Gewerkschaftssekretärinnen sehen mit Sorge den Wegfall von Ausbildungsstellen nicht nur in den vom Corona-Lock down besonders betroffenen Branchen, und sind sich einig, dass diese Lücken sicherlich auch längerfristig spürbar sein werden. Daher sollte die Ausbildungsleistung von Betrieben, die in dieser Situation Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen bzw. in diesem Bereich ihre Aktivitäten verstärken entsprechend honoriert werden.
Jörg Ernstberger, Geschäftsführer Südwestmetall Heilbronn Region Franken: Die Corona-Pandemie geht am regionalen Ausbildungsmarkt der Metall- und Elektroindustrie leider nicht spurlos vorbei.So ist in der Region Heilbronn-Franken dort erstmalig seit mehreren Jahren ein Rückgang der Ausbildungsplätze zu verzeichnen gewesen. Mit knapp 7 Prozent weniger Auszubildenden als im Vorjahr starteten unsere Mitgliedsunternehmen in das Ausbildungsjahr 2020.Die Pandemie und die dadurch verstärkte Rezession in der Metall- und Elektroindustrie hat offenbar auch Einfluss auf das zukünftige Angebot von Ausbildungsplätzen und die anschließende Übernahme in ein Arbeitsverhältnis. So planen 25 Prozent der Mitgliedsunternehmen derzeit, weniger Auszubildende im Ausbildungsjahr 2021 einzustellen. Positiv formuliert setzen aber trotz der negativen Rahmenbedingungen 75 Prozent unserer Mitgliedsunternehmen weiterhin auf Ausbildung im bisherigen Umfang und über 70 Prozent unserer Mitgliedsunternehmen übernehmen nicht weniger Auszubildende in ein Arbeitsverhältnis als in der Vergangenheit. Dies ist als klares Bekenntnis zum Produktionsstandort Heilbronn-Franken zu bewerten.Erwähnenswert ist zudem, dass 58 Prozent unserer Mitgliedsunternehmen deutlich weniger Bewerbungen für ihre Ausbildungsplätze erhalten haben. Dies ist sicherlich zu einem großen Anteil auf Corona-bedingte Ausfälle von Bildungsmessen oder Netzwerktreffen zwischen Schulen und Firmen zurückzuführen.Der seit Jahren bestehende Fachkräftemangel sowie die seit längerer Zeit eingetrübte konjunkturelle Situation der Metall- und Elektroindustrie wird unabhängig von Covid 19 den Ausbildungsmarkt leider auch zukünftig belasten.
Quellenangaben:Elisabeth Giesen (Agentur für Arbeit); Jürgen Czupalla (Agentur für Arbeit);Ralf Schnörr (HWK HN-Franken); Elke Döring (IHK HN-Franken); Silke Ortwein (DGB): Silvia Wagner (DGB); Jörg Ernstberger (Südwestmetall)https://www.arbeitsagentur.de/vor-ort/schwaebisch-hall-tauberbischofsheim/ausbildungsmarktbilanz-heilbronn-franken